Abahlali baseMjondolo, Aussendung vom 12.7.2016
Workshop über die Politik der städtischen Infrastruktur der Wits University und der Universität von Michigan, abgehalten an der Universität für Technologie in Durban
Die politischen und ökonomischen Herausforderungen bei der Bereitstellung städtischer Infrastrukturen in Durban
S’bu Zikode
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um den OrganisatorInnen dieses Workshops zu danken dafür, dass sie den Kampf von Abahlali baseMjondolo würdigen. Ich möchte heute der Wits und der Uni Michigan danken dafür, dass sie mich eingeladen haben, gemeinsam die Erfahrungen von Abahlali in unserem Kampf zu teilen, den Kampf um Land, um Wohnraum, um Wasser, Elektrizität und Transportmöglichkeiten.
Aber ehe ich mit euch unsere Erfahrungen teile, ergreife ich die Gelegenheit, euch kurz die Bewegung Abahlali baseMjondolo in Südafrika vorzustellen. Die Bewegung wurde 2005 in der Barackensiedlung Kennedy Road hier in Durban gegründet. Sie wurde geschaffen, um für die Interessen und die Würde von BarackenbewohnerInnen und anderen verarmten Menschen in Südafrika zu kämpfen, diese zu beschützen, die Ideen zu befördern.
Die Siedlung Kennedy Road ist unter vielen Barackensiedlungen in Durban, die auf gut gelegenem Land entstanden sind. Sie liegt in einem Mittelklasse-Vorort mit ökonomischen Möglichkeiten, guten Schulen und weiterer Infrastruktur. Eine dieser Infrastrukturen ist, dass die Siedlung nahe der größten Mülldeponie, die von Durban Solid Waste betrieben wird, liegt. Einige Leute haben Baumaterial aus der Müllhalde besorgt, einige haben dort ihr Leben verbracht. Aber viele andere haben als HausarbeiterInnen, Securities, BauarbeiterInnen, informelle HändlerInnen und so weiter gearbeitet.
Zur Zeit der Gründung der Bewegung stand Kennedy Road vor drohenden Räumungen. Uns wurde erzählt, dass der Müll selbst ein großes Gesundheitsrisiko für die BewohnerInnen der Siedlung darstellt. Uns wurde erzählt, dass sich unter der Erde Methangas bildet, das noch gefährlicher für die BewohnerInnen sei. Andere Siedlungen in Mittelklassegegenden waren ebenfalls von Räumung bedroht. Immer wurde den Leuten gesagt, dass die Räumungen notwendig seien, wegen der unsicheren Bedingungen. Leuten wurde erzählt, dass das Land zu abschüssig sei, um Häuser für Arme darauf zu stellen, obwohl die Mittelklasseleute gut an demselben Ort lebten. In Kennedy Road wurde den Mittelklasseleuten, die gleich über der Straße wohnten, gesagt, dass die Mülldeponie kein Risiko für sie darstellt.
Die Bedingungen in der Siedlung waren schlecht, wegen der mangelnden Infrastruktur. Es gab keine Müllsammlung, weshalb sich rasch Dreck ansammelte. Wir wurden von großen Ratten bedroht, die wir von Zeit zu Zeit durch unsere Siedlung huschen sehen konnten. Ein Jahr später wurde ein sechs Monate altes Baby von einer Ratte getötet, während es neben seiner Mutter schlief. Uns wurde auch gesagt, dass das Land zu abschüssig sei und nicht stabil genug für Wohnraumentwicklung.
Weil es keinen Strom gab, und nur sehr wenig Wasserhähne, bedeute Feuer eine ständige Gefahr. Es gab nur fünf Wasseranschlüsse, die rund 6.000 Menschen zu versorgen hatten. Das bedeutete, dass es sehr schwierig war, ausbrechende Feuer zu bekämpfen. 2006 starb ein einjähriges Kind, Mhlengi Khumalo, bei einem Barackenbrand, und während der Jahre kamen mehrere Menschen bei Bränden ums Leben. In den meisten Fällen brauchte die Feuerwehr bis zu einer halben Stunde, ehe sie in der Siedlung ankam, und manchmal hatten sie nicht genug Wasser dabei. Hatten sie genug Wasser, erreichten sie damit oft die brennenden Baracken nicht, denn es führten keine Straßen zu ihnen. Abahlali entdeckte, dass die Gemeindeverwaltung eThekwini eine Politik der Nichtversorgung mit Strom gegenüber Barackensiedlungen verfolgte. Wir standen also vor einer Situation, in der wir nicht genügend Wasserleitungen hatten, nicht ausreichend Straßen, keine Brandschneisen, und der Zugang zum Strom wurde uns verwehrt.
Der Mangel an Wasserhähnen bedeutete für die Menschen weiters, dass sie eine Menge Zeit dafür aufbringen mussten, sich in der Schlange anzustellen. Das Wasser steile Hügel runter zu tragen war gefährlich, wenn es regnete und die Wege schlammig waren. Das machte das tägliche Leben sehr schwierig. In einigen Familien trugen Frauen den größten Teil der Last. Die Wasserknappheit war sehr schwer für Kranke, vor allem, wenn sie Durchfall hatten.
Der Mangel an Elektrizität bedeutete auch, dass die Menschen Kerzenlicht verwenden mussten, Gaskocher, um zu kochen und ein Feuer, um Wärme zu erzeugen, und das erhöhte die Gefahr von Bränden. SchülerInnen und StudentInnen mussten bei Kerzenlicht lernen.
Es gab 43 Plumpsclos, die jahrelang blockiert worden waren. Die Menschen waren echt schockiert, wenn sie Kinder antrafen, die Würmer aßen, die aus diesen Toiletten auftauchten. Sie dachten, es sei Reis. Es gab sechs transportable Toiletten. Angesichts von mehr als 1.000 Menschen, die täglich eine dieser Latrinen benutzten, befanden sie sich in einem schrecklichen Zustand und waren ständig besetzt. Frauen waren der Gefahr von Überfällen, Raub und Vergewaltigung ausgesetzt, wenn sie sich nach einem privaten Ort umsahen, an dem sie zur Toilette gehen konnten.
Die Menschen fühlten sich, als würden sie wie nicht menschliche Wesen behandelt. Sie fühlten, dass die Bedingungen vorsätzlich so schwierig gehalten wurden, sogar lebensbedrohlich, um sie dazu zu zwingen, ihrer Entfernung aus der Stadt zuzustimmen, dorthin, was die Leute „menschliche Müllhalden“ nannten. Sie spürten, dass die Regierung der Meinung war, wenn ihr ein richtiges Haus und Wasser, Sanitäranlagen und Strom wollt, dann müsst ihr akzeptieren, dass ihr aus der Stadt ausgeschlossen werdet. Aber die Leute wolloten ihre Entfernung an 30 oder 40 Kilometer entfernte Orte außerhalb der Stadt nicht akzeptieren, denn dort hatten sie keine Möglichkeit, ihr tägliches Brot zu verdienen, keine guten Schulen und der Transport war sehr teuer. Wir betrachteten die Zwangsräumungen als neue Form der Segregation, mit der dieses Mal die Verarmten aus den Städten vertrieben wurden.
Zu dieser Zeit verfolgte die Regierung eine Politik des „Ausradieren der Slums“. Sie versprachen, dass es bis 2014 keine „Slums“ mehr geben werde. Wenn sie „ein Slum ausradierten“, dann kamen sie mit Gewehren. Sie kamen, als zögen sie in einen Krieg. Einige Leute wurden obdachlos gemacht, andere erhielten so kleine und schlecht gebaute „Häuser“ weit außerhalb der Städte, auf den „menschlichen Müllhalden“. Die Menschen nannten diese Häuser „Hundezwinger“.
Wir organisierten den Stop der Räumungen. Das ist uns gelungen. Wir organisierten auch den Stop des Programms zur „Ausradierung der Slums“. Auch das gelang uns. Wir organisierten uns selbst, um zu putzen, und wir führten die „Operation Khanyisa“ ein (den selbst durchgeführten Anschluss an das Stromnetz), der in Soweto in Durban begonnen hat. Einige Leute hatten bereits selbst Anschlüsse ans Netz hergestellt, aber unorganisiert und manchmal auf gefährliche Art und Weise. Wir organisierten die Selbstanschlüsse in ganzen Siedlungen, auf sichere Weise und gut organisiert, mit ordentlich isolierten Verbindungen und unter der Erde verlegten Kabeln. Wir konnten auch mehr Wasserhähne organisieren, und sogar einige Toiletten, indem wir uns auch an das Abwassernetz anschlossen. Gleichzeitig kämpften wir dafür, dass der Staat den Strom bringt, mehr Wasserhähne, Infrastruktur. Es gelang uns tatsächlich, den Bann bei der Stromversorgung von Barackensiedlungen zu durchbrechen, und die Gemeindeverwaltung stimmte zu damit zu beginnen, den Siedlungen Waschräume zu bauen (sie legten auch Drainagen für die Plumpsclos in Kennedy Road an). Doch das ging alles viel zu langsam. Wir schafften ein Übereinkommen, dass Siedlungen in gut gelegenen Gegenden, wie Kennedy Road, aufgemascherlt werden, in partizipativer Weise, anstatt dass sie zerstört werden und die Menschen obdachlos werden oder zwangsumgesiedelt auf die menschlichen Müllkippen.
Doch dieses Abkommen wurde nie umgesetzt. Der ANC kann nicht akzeptieren, dass Wohnraum außerhalb seiner Kontrolle verfügbar wird. Die Aufträge, die Arbeiten und die Zuteilung von Häusern, alles läuft über Parteistrukturen, um die Macht der Partei über die Menschen zu erhalten. Das ist einer der Gründe, warum wir 2009 angegriffen und aus der Siedlung Kennedy Road vertrieben wurden, durch den ANC, der mit Unterstützung der Polizei vorgegangen ist.
Wir besetzen weiterhin Land, um wo möglich unsere eigene Infrastruktur aufzubauen, kämpfen darum, dass Siedlungen Dienstleistungen von der Stadtverwaltung erhalten und dass die Siedlungen partizipatorisch verbessert werden.
In unserem Kampf sind wir ernsthafter Repression ausgesetzt gewesen, darunter durch Angriffe, Verleumdungen, Festnahmen, Folter, Arrest und Mord. Grundlegende Rechte wie das Recht auf Protest wurden uns vorenthalten. Es ist nicht gerecht, dass der Staat verlangt, die Verarmten sollen in den dunklen Winkeln bleiben, während andere für uns sprechen und entscheiden. Einige NGOs und AkademikerInnen dachten ebenfalls, dass sie das Recht hätten, für uns zu sprechen und zu entscheiden. Auch sie haben sich uns gegenüber repressiv verhalten.
Vor einer Woche erst besuchte eine Beamtin von eThekwini Parks and Cemeteries eine unserer Siedlungen, genannt George Hill in Sydenham. George Hill liegt gut auf privatem Land, weniger als 10 Kilometer vom Stadtzentrum von Durban entfernt. Sie haben keine Toiletten und keine Wasserentnahmestellen. Gleich unterhalb der Siedlung gibt es einen kleinen, öffentlichen Park und einen kleinen Teich mit Fischen. Die Beamtin beschuldigte BewohnerInnen, dass sie in den Teich uriniert hätten und ihre Notdurft unter den Bäumen dort verrichten. Sie behauptete, dass all dieser Dreck in den Teich rinnt und die Fische umbringt. Sie rief die Polizei an, StadträtInnen und Abahlali. Als ich mit ihr telefonierte, stellte sie fest, dass es ihr völlig egal sei, wenn die BewohnerInnen keine Toiletten haben, sie machte sich mehr Sorgen über die Fische und den „öffentlichen Park“, der kaputt gemacht würde. Wieder wurde ich rasch daran erinnert, dass die Verarmten in unserer Stadt nicht zählen, denn sie hatte kein Problem damit, Leute ohne sanitäre Anlagen für diese Situation verantwortlich zu machen, anstatt die Tatsache zu beklagen, dass einige StadtbewohnerInnen immer noch keine Sanitäranlagen haben. Die Beamtin hat es nicht gerührt, dass den BewohnerInnen Wasser und Sanitäranlagen vorenthalten werden. Es war ihr egal, dass sie sich in so einer Umgebung um ihre Kinder kümmern müssen. Stattdessen drohte sie, sie vom privaten Landbesitzer räumen zu lassen, der ebenfalls meinte, er möchte diese BewohnerInnen nicht auf seinem Grund haben. Für diese Beamtin war eine Räumung, eine Zwangsräumung eine gute Lösung. Sie wollte die verarmten Menschen aus ihrem Platz in der Stadt entfernen, anstatt dafür zu sorgen, dass sie einen würdigen und sicheren Platz in der Stadt erhalten.
Wir haben bemerkt, dass viele universitäre Intellektuelle über die Kämpfe um Land sprechen, als wären das die nur Kämpfe in der Stadt. Aber der Kampf um Land auf dem Land ist ein genauso wichtiger Teil des Kampfes um Land. Land und Wohnraum sind die größten Herausforderungen für unsere wachsenden Städte. Unsere Städte sind weiterhin stark umkämpft, denn sie schaffen es nicht, viele ihrer BewohnerInnen aufzunehmen und zu beherbergen. Verarmte Menschen werden weiterhin von Gewalt, Nepotismus und Korruption regiert. Während uns eine Menge über die Verknappung von Land in urbanen Zentren erzählt wird, finden wir weiterhin unbebrauchtes, leerstehendes Land in urbanen Zentren und besetzen es, um den Unterdrückten ein wenig Raum zu schaffen. Unsere Bewegung hat immer den sozialen Wert von Land betont, der vor dem kommerziellen Wert zu kommen hat. Wir haben erfolgreich viele Räumungen in dieser Stadt verhindert, durch den Widerstand bei Gericht, in den communities und auf den Straßen. Wir haben uns auch an der Planung und der Regierung durch die Menschen beteiligt. Wir haben die Probleme mit der Polizei identifiziert und aufgezeigt. Wir haben korrupte und bösartige Gemeinderäte bloßgestellt, darunter die beiden, die heute lebenslange Haftstrafen im Westville Gefängnis absitzen, weil sie AktivistInnen von Abahlali in der Gegend KwaNdengezi umgebracht haben.
Die Verarmten sind in Südafrika auch nach Ende der Apartheid verarmt und aus der Nation ausgeschlossen geblieben. Es ist klar geworden, dass wir in unserer Gesellschaft nicht zählen. Unsere Rolle ist darauf beschränkt, unsere Armut zu wählen und den PolitikerInnen und einigen NGOs zu gehorchen. Es wird als Verbrechen betrachtet, wenn wir uns selbst organisieren, für uns selbst denken und sprechen. Wir haben diese ganze grundlegende Infrastruktur nicht, einfach weil wir nicht als menschliche Wesen zur Kenntnis genommen werden. Es gibt keinen anderen Grund. Wir haben alle erlebt, wie rasch hier 2010 die Stadien hochgezogen worden sind. Würden unsere Leben ernst genommen werden, wären wir nicht gezwungen, so zu leben, wie wir leben.
Die staatliche Demokratie funktioniert für uns nicht. Aus diesen Gründen haben wir begonnen, uns außerhalb des Staats und seiner herrschenden Parei zu organisieren. Wir organisieren uns autonom von allen politischen Parteien und NGOs.
Wir nehmen die Tatsache zur Kenntnis, dass jetzt Container mit Wasser und Sanitäranlagen und Duschen („Waschräume“) in unseren Siedlungen aufgestellt werden. Wir sehen auch, wie manchmal in ausgewählten Siedlungen Stromleitungen verlegt werden. Wir nehmen zur Kenntnis, dass manche Siedlungen verbessert werden werden, anstatt zerstört zu werden. Wir begrüßen dieses Programm. Aber wir erinnern alle daran, dass dieser Fortschritt aus dem Kampf, den die BarackenbewohnerInnen und andere Verarmte geführt und gewonnen haben, kommt. Wir erinnern alle an die Kosten dieser Kämpfe – bis hin zu Ermordeten.
Abahlali möchte die Macht der Verarmten von unten her aufbauen. Wir wissen, unser Ausschluss und die Unterdrückung sind keine Frage von Budgetzwängen und Prioritäten. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Unsere Organisierung fordert inklusive Städte, Städte für alle, unabhängig von der eigenen sozio-ökonomischen Stellung. Uns ist sehr bewusst, dass es der Kampf der Menschen in diesem Land war, der dem ANC die Rückkehr aus Gefängnis, Exil und Untergrund ermöglicht hat. Wir vertrauen sehr auf die politischen Kapazitäten der Unterdrückten. Die einzige Demokratie, der wir uns heute erfreuen, ist die Demokratie, die wir selbst aufgebaut haben. Die Wasser- und Stromanschlüsse, der wir uns heute erfreuen, sind Dienste, die wir uns selbst zur Verfügung gestellt haben. Und ja, das Land, das wir erfolgreich besetzt haben und auf dem wir unsere Leben aufgebaut haben, ist unseres, als Ergebnis unseres Kampfes und Widerstands, und das macht uns stolz.
Die Gemeinde eThekwini hat ein Budget von mehr als 46 Milliarden [Rand]. Sie kann ihr Versagen bei der Versorgung mit Strom, Wasser und Sanitäranlagen in all den Barackensiedlungen, ihr Versagen bei der Zusammenarbeit mit den Menschen in den Barackensiedlungen bei der partizipatorischen Planung der Verbesserungen für die Verarmten, damit auch diese in Würde leben können, in unserer Stadt nicht rechtfertigen. Wir leben, wie wir leben, nicht weil es zu wenig Land oder Geld gibt. Wir leben so, weil wir nicht als Menschen zählen. Deshalb geht es im Kern unseres Kampfes darum, umsere Menschlichkeit zu verteidigen.
Land, Wohnraum und Würde!
Umhlaba Izindlu neSithunzi!