Marikana-Kommission: Lügen, Videos und die zerbröckelnde Verteidigung der Polizei

Zur Quelle Daily Maverick, 16.9.2013, Greg Marinovich und Greg Nicolson

Marikana-Kommission: Lügen, Videos und die zerbröckelnde Verteidigung der Polizei

Der Durchbruch bei der Marikana-Untersuchungskommission war bereits im Gang, als ein Polizeibeamter beschloss, dass er nicht die Kartoffeln für seine Vorgesetzten aus dem Feuer holen wird. Als die Kommission bei wichtigen Punkten anstand, öffnete sich ein Spalt in der stabilen, aus Lügen bestehenden Verteidigungslinie der Polizei darüber, was tatsächlich am 16. August 2012 geschehen war. Beim Versuch, sich selbst zu retten, enthüllte der Beamte den Plan, der wirkt, als handle es sich um eine riesige Verschleierungstaktik der Polizei.

Der Leutnant der Special Task Force, Colonel Duncan Scott, sollte den Plan, die Demonstrant_innen in Marikana zu zerstreuen und zu entwaffnen, koordinieren. Am Tag, nachdem die Polizei 34 Menschen erschossen und weitere 270 verletzt hatte, wurde der Computer von Scott zum Mittelpunkt der polizeilichen Beweisführung dessen, was geschehen war. Die Polizist_innen wussten, dass sie sich für ihre Aktion verantworten werden müssten. Mitglieder verschiedener Einheiten, die Videoaufzeichnungen angefertigt und Fotos der Vorfälle geschossen hatten, gingen zu Scott, der die Beweise auf seinen Rechner hochlud.

Letzte Woche erschien er vor der Kommission und sah sich vor die Wahl gestellt – zu versuchen, die Beweise zu verstecken und zu manipulieren, oder auszusagen und möglicherweise wegen krimineller Delikte angeklagt zu werden. Eine Tage nach der Schießerei wurden die Dateien von Scott’s Computer auf einen Rechner der South African Police Services (SAPS) transferiert, um die Beweise zu generieren, die von der Polizei vorgelegt wurden, und die sie im Interesse der Wahrheitsfindung vorlegen mussten.

Scott wurde von der Kommission letzte Woche in die Ecke gedrängt, als Anwalt Matthew Chaskalson bewies, dass die Polizei nicht ihr gesamtes Material herausgerückt hatte, einiges hatte sie gelöscht, und dass sie im Interesse ihrer eigenen Sichtweise dessen, wer verantwortlich ist, die Beweise entstellt dargelegt hatte. Seines Wissens nach, sagte Scott, sei er nicht verantwortlich für irgendwelche Dateilöschungen. Er sei beauftragt gewesen, sie auszuhändigen, sagte er.

Bei der Betrachtung der Datei wurde jedenfalls rasch klar, dass wichtige Informationen bewusst entfernt worden sind und nicht der Kommission vorgelegt wurden. Was noch schlimmer ist, es scheint, dass die fehlenden Beweise dazu beitragen hätten können zu rekonstruieren, was geschehen ist. Scott betonte, nachdem er alle Informationen auf die Festplatte der SAPS überspielt habe, hätte er nur eine untergeordnete Rolle bei der Kontrolle und Vorbereitung der Beweise für die Kommission gespielt. Aber es sah nicht gut aus für den Leutnant Colonel. Er war der erste, der die Beweise in Händen hatte, und letztes Jahr gab er vor der SAPS eine Präsentation der Vorfälle ab. Sowohl die Präsentation als auch der Umgang mit den Beweisen haben sich als äußerst fehlerhaft herausgestellt. Um seine Unschuld zu beweisen, übergab Scott letzte Woche die SAPS-Festplatte zu Marikana. Der Beweis wird untersucht und dürfte enthüllen, wie weit die Polizei gegangen ist, als sie sich selbst vor Verfolgung zu schützen versuchte.

Die erste Analyse hat gezeigt, dass ein wichtiges Stück Beweis versteckt wurde: ein Video.

Das Video wurde außerhalb der Kommandozentrale [der Polizei] aufgenommen, am 18. August 2012 um 10:15 Uhr, zwei Tage nach dem Massaker. Brigadier Adriaan Calitz unterweist die Truppe. Die Kommission hatte davor eine Tonaufnahme von Calitz, einem der Befehlshaber vor Ort, gehört, in dem er die Polizei instruiert, „raus zu gehen und loszulegen“.

In dem Video stellt Calitz sicher, dass keine Medien anwesend sind, ehe er sagt, dass Julius Malema nach Marikana kommt und die Minenarbeiter_innen auffordern wird, zum Berg zurück zu kehren, wo sie die Polizei provozieren könnten, um vor den Medien die Gewalttätigkeit der SAPS zu zeigen. Er weist Beamte an, den NATO-Draht einzusammeln, der am 16. August ausgelegt worden war, und den gesamten Berg damit zu umzingeln. Calitz stellt fest, dass die Moral der Truppe hoch ist und dankt dieser. Er sagt, er habe dem Präsident dieselbe Präsentation der Vorfälle vorgeführt, die er den Medien gezeigt hat.

„Dann kündigte [Zuma] an, dass es eine Untersuchung geben wird. Nun könnten sich einige unter euch fragen, was weiter geschehen wird. Erinnert euch, nach jeder großen Aktion gibt es eine Untersuchung, die tagt und Bild für Bild, Minute für Minute untersucht, was geschehen ist. Alles klar? Als Polizei werden wir hundertprozentig kooperieren.“ Calitz spricht vor einer großen Anzahl von SAPS-Mitgliedern.

„Bisher haben wir nichts falsch gemacht. Von der Planung bis zur Durchführung war es 110prozentig, genau wie wir es geplant haben. Und das geschieht nicht oft in dieser großen Gruppe. Ich muss euch gratulieren. Genau wie wir es geplant haben, und wie wir die Kommandant_innen insturiert haben. Wir haben es genau so umgesetzt“, erzählt er ihnen.

Er beschreibt den „taktischen Rückzug“ am 16. August. „Wir haben die Wasserwerfer eingesetzt, wir haben die Blendgranaten eingesetzt, wir haben das Tränengas eingesetzt. Wir haben das Spiel begonnen. Wir haben es versucht. Als es ineffizient war, rannten die Jungs zurück“, sagt Calitz. „Deshalb war nichts, nichts, nichts von dem falsch. Ok., ihr habt agiert, es war gerechtfertigt, und das ist genau unsere Verantwortung und unsere Kooperation, die wir den Leuten geben.“

Calitz unterbricht seine Rede, als er jemand von den Medien filmen sieht. Er fordert einen Beamten neben ihm, „Mac“, auf, das Material zu überprüfen und zu löschen.

Dann weist er die Polizist_innen an, wie sie die Formulare ausfüllen sollen, in denen sie die Vorfälle des 16. August darstellen müssen. „Es ist sinnlos zu sagen, ich habe nur zwei Schüsse abgegeben, wenn 400 oder 500 Patronenhülsen aufgesammelt worden sind. Versteht ihr, was ich sage? Ihr habt nichts zu verstecken. Tut das bitte nicht, und warum? All unsere Schusswaffen, von allen, die am Donnerstag vor Ort waren, werden eingesammelt werden.“

Die SAPS hatte ein anderes Video vorgelegt, das zur gleichen Zeit gedreht wurde, aber ohne die Instruktionen von Calitz. Chaskalson bemerkte, dass die Polizei irgendwie der Meinung war, dass es wichtig sei, das Material vorzulegen, aber nicht das Briefing durch Calitz.

„Das ist eine Schlussfolgerung“, antwortete Ian Farlam, der Vorsitzende der Kommission. „Es gibt eine andere Schlussfolgerung, dass gedacht wurde, es zu peinlich, um es an die Parteien auszuhändigen.“

Die Bemerkung von Calitz, dass der Plan zu „110 Prozent“ umgesetzt worden sei, könnte darauf hindeuten, dass die Kommandant_innen vor Ort shoot-to-kill-Anweisungen erteilt haben. Das könnte vielleicht die obersten Kommandant_innen entlasten, weil solche Aufträge vor Ort erteilt werden. Wenn er dazu befragt würde, könnte er antworten, dass er einfach versucht hat, die Moral der Polizist_innen angesichts der Untersuchung aufrecht zu erhalten. Aber seine Kommentare stehen auch in direktem Widerspruch zu dem, was die oberste Polizistin, Riah Phiyega, der Kommission erzählt hat. „Es gab einen Plan … der Plan wurde über den Haufen geworfen“, sagte sie im April.

Das Video legt auch nahe, dass es in den SAPS eine Kultur der Lügen über Beweise gibt. Calitz wiederholt des öfteren, dass die Polizist_innen nicht lügen sollen. Aber warum sollte er annehmen, dass sie lügen könnten?

Diese Widersprüche werden untersucht werden, wenn die Kommission heute weitermacht und wenn andere SAPS-Führer_innen ins Kreuzverhör genommen werden.

Jedenfalls gibt es einen Beweis für eine Verschleierung. Die Polizei hat über eine Woche in Potchefstroom [Stadt in der Provinz Nordwest] verbracht, ehe sie vor der Kommission erschienen ist, sie hat ihre Aussagen und Beweise vorbereitet. Es scheint, sie haben auch vorbereitet, die Kommission zu belügen, um Beweise zu unterdrücken. Zusätzlich zu dem geheimen Calitz-Video gibt es Quellen, die behaupten, dass es Beweise dafür gibt, dass in Potchefstroom die Polizei Teile der Sitzung dafür nutzte, die Treffen am 15., 16. und 17. August zu besprechen und die polizeilichen Unterlagen über die Geschehnisse zu fälschen.

Das Video tauchte nur auf, weil Scott anbot, dass die Festplatte untersucht wird; ansonsten wäre es in einem verworrenen Labyrinth versteckt geblieben.

Die Anwält_innen wussten, wonach sie suchten: sie hatten um die Polizeivideos 0 bis 41 aus einer Serie angefragt, um das zu vervollständigen, was sie bereits hatten.

Als die Videos vorgelegt wurden, gab es eine Menge Bedenken. Die Dateinamen der Videos in dieser Serie hatten leicht unterschiedliche Dateinamen. Tatsächlich handelte es sich nicht um eine echte Serie. Einige der Videos waren bereits zuvor gezeigt worden und tauchten unter anderen Namen wieder auf. Als die Anwält_innen sie genauer untersuchten, befanden sich die Videos nicht in chronologischer Reihenfolge, obwohl es so schien.

Die verlangte Serie an Videos war tatsächlich eine Zusammenstellung aus verschiedenen Ordnern, umbenannt und so aufbereitet, dass sie wie ein komplettes Paket wirkten. Als die Polizei die verschiedenen Videos auswählte, um sie als ein Paket zu präsentieren, wurde das Calitz-Video herausgenommen. Eine andere Datei erhielt seinen Namen, d.h. es würde keine Verdachtsmomente hinsichtlich des herausgenommenen Videos geben. Scott stand unter dem Druck beweisen zu müssen, dass er daran nicht beteiligt war, die Beweise zu fälschen, und beteuert weiterhin seine Unschuld. Die Fragen, die beantwortet werden müssen, sagte Chaskalson, lauten: Wer hat das Beweisverzeichnis nach Marikana zusammengestellt, und wer hat die Beweise der Kommission übergeben?

Warum? Weil diese Person der Schlüssel zu der Verschleierung ist. Nach Monaten, in denen sie mit Leugnen und Verschleierungen an ihrer Arbeit gehindert wurde, hat die Kommission schließlich ein wenig Fortschritt erzielt bei der Suche nach dem, was am 16. August letzten Jahres geschehen ist. Scott wollte nicht die Kartoffeln für seine Vorgesetzten aus dem Feuer holen, und er hat einen Ziegel aus der Verteidigungsmauer der SAPS geschlagen, womit er eine schwankende Mauer des Betrugs enthüllt hat.

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