Die Weltmeisterschaft in Europa verfolgen

http://sacsis.org.za/site/news/detail.asp?idata=506&iChannel=1&nChannel=news&iCat=1444, Richard Pithouse, 1.7.2010

Die Weltmeisterschaft in Europa verfolgen

Das FIFA-Hauptquartier schmiegt sich an einen einsamen Flecken auf dem Berg, von dem aus mensch Zürich, eine der reichsten Städte der Welt, überblickt. Hier kostet ein Glas Coca Cola in einem Restaurant 60 Rand. Die Stadt, die an einem See liegt, mit schneebedeckten Bergen im Hintergrund, gibt auf gewise Weise das perfekte Bild für die Verpackung einer Tafel Schokolade ab. Zürich ist auch Heimat von HausbesetzerInnen, innovativen Wohn- und KünstlerInnenkollektiven, einer großen Anzahl an migrantischen communities, einer gedeihenden Musikszene und von politischen Dissidenten aus aller Welt. Gemeinsam haben sie ein lebhaftes städtisches Leben mit Oasen von Jazz, Punk, radikalen kurdischen ArbeiterInnen und russischen AntifaschistInnen geschaffen.

Aber, und das würden die radikalen Gruppen hier sofort unterschreiben, ein Großteil der materiellen Basis für dieses pulsierende städtische Leben beruht auf der Zerstörung in anderen Teilen der Welt. Die Banker hier haben sich an der Apartheid bereichert und blicken auf eine lange und traurige Tradition der Zusammenarbeit mit unterdrückerischen Regimes zurück. Generationenlang eignen sie sich bereits ihren Teil des Reichtums aus den Gold- und Diamantenminen Südafrikas an. Zürich muss als die Spitze einer Pyramide verstanden werden, die durch das geschäftliche Johannesburg runterreicht zu den Bantustans und den Frontstaaten, in denen die Frauen sich um die Familien kümmerten, während die Männer ausgeschickt wurden, um in den Minen für Hungerlöhne zu schuften. Der Reichtum einer Stadt wie Zürich ist eng verknüpft mit der Zerstörung eines Orts wie der Transkei.

In der Langstraße in Zürich, der traditionellen Straße der KommunistInnen und sozialistischer Mobilisierung treffen sich auch die Fussballfans, um ihre Siege zu feiern. In den vergangenen Tagen wurde sie von jubelnden GhanesInnen und BrasilianerInnen übernommen. Einige von ihnen sind ArbeiterInnen ohne Papiere, die üblicherweise am Rand der Gesellschaft leben. Einige arbeiten in Restaurant- und Barküchen in der Langstraße.

Die Straße ist ebenso das Herz von Zürichs Rotlichtbezirk, und die Frauen, die hier Kunden werben, scheinen vor allem aus Afrika, Osteuropa und Südamerika zu kommen. Aber im Siegestaumel haben für einen Moment Fussballfans aus Ghana und Brasilien geglaubt, im Mittelpunkt des kollektiven Ausdrucks von Identität und Freude zu stehen.

Die FIFA hat die Verwaltung des Fussballs an sich gerissen, und sie zieht jeden Cent aus dem Spiel. Aber weder diese Tatsache, noch die bittere Ungleichheit innerhalb der Welt des Fussballs, die den Raub des afrikanischen und südamerikanischen Fussballsystems durch Europa mit einschließt, ändert etwas an der Realität, dass, wenn die Pfeife ertönt, 22 Männer für die Dauer des Spiels einander als gleiche gegenüberstehen. Anders als bei den Vereinten Nationen oder der Weltbank kann am Rasen alles passieren. Ghana kann die Vereinigten Staaten besiegen. Der Senegal kann Frankreich besiegen. England kann rausfliegen.

Und das Zusehen von Deutschland in einer deutschen Stadt wie Wuppertal unterscheidet sich nicht wirklich vom Zusehen eines südafrikanischen Spiels daheim. Das Bier, die Fahnen, das Stöhnen und das Gebrüll, die die Wellen kollektiver Emotionen bezeichnen, die uns zumindest für einen Moment aus unseren eigenen Köpfen rausholen, die Umarmungen, die quer durch die sozialen Spaltungen gehen, das Gejohle und das Raushängen aus Autofenstern, und nun die vuvuzelas, das ist alles gleich. Die Fussballweltmeisterschaft ist ein globaler Karneval, der, zumindest per Fernsehen, den Bankern in Zürich ebenso zugänglich ist wie den Minenarbeitern in Johannesburg oder ihren Familien in Flagstaff.

Und wenn es um Fussball geht, gibt es kein Monopol auf ExpertInnenwissen. Jemand mag prekär beschäftigt, ohne Papiere und ethnisch anders in der Festung Europa sein, aber das ist kein Grund, dass sie nicht öffentlich für sich das selbe Recht in Anspruch nimmt wie ein Schweizer Banker, ein Spiel, ein Team oder eine Schiedsrichterentscheidung zu analysieren und darüber zu debattieren. Bei einer akademischen Konferenz wird Fussball vermutlich eher Thema einer Konveration bei Tisch sein als bei akademischen Angelegenheiten, und ein Kellner wird vermutlich besser informiert sein als ein Professor, und er wird sich zu diesem Punkt vermutlich auch besser ausdrücken können.

In einer Welt, in der die Ungleichheit so stark ist, und so effektiv von Polizei der überwacht, verwaltet und legitimiert wird, gibt es etwas Utopisches in den Augenglicken er Erhabenheit, das Fussball schaffen kann.

Und da diesmal Südafrika dran ist, scheint es, zumindest für den Augenblick, dass die Darstellung Afrikas in Westeuropa sich geändert hat. Südafrika ist überall – von den vuvuzelas, deren Echo mensch in den Straßen hört, den Torten in den Farben unserer Flagge im Fenster des Bäckerladens in Deutschland, den südafrikanischen MusikerInnen, die in kleinen deutschen Städten aufspielen, und den glamourösen Darstellungen Kapstadts in Modemagazinen bis zu den detaillierten Berichten in Zeitungen und Dokumentationen im Fernsehen.

Südafrika, und darüberhinaus Afrika scheint weitgehend als kompetenter, moderner und lustiger Ort mit freundlichen Menschen. Stereotypen über unser Volk, unser Essen und sogar unser Wetter werden täglich aufgedeckt.

Das Land hämmert auch unf unser armseliges öffentliches Transportsystem ein. Aber das sind Schläge, die wir wirklich verdient haben. In einigen Vierteln gibt es eine Menge Kritik über die Art und Weise, in der der ANC augenblicklich unsere Gesellschaft bewegt, hin zur Zementierung der strukturellen Ungleichheit, und wie er die Weltmeisterschaft nach den ausbeuterischen Regeln der FIFA durchzieht. Das Schweizer Fernsehen brachte unlängst eine sehr gute, einstündige Dokumentation über Räumungen in Zentral-Johannesburg, und der Skandal über Blikkiesdorp, die ‚vorübergehende Umsiedlungsgegend’ in Kapstadt ist überall wahrnehmbar.

Aber diese Einführung in eine Nuance der Geschichte, wie der ANC hoffte, die Weltmeisterschaft dazu nutzen zu können, der Welt über Südafrika zu berichten, nimmt oft die Form eines erfrischenden Wechsels der rassistischen und bevormundeten Linsen an, durch die Afrika so lange in Europa betrachtet wurde. Die Bilder von hilflosen, hungernden afrikanischen Kindern, die überall in Westeuropa zu sehen waren, wurden ersetzt durch Betrachtungen von AfrikanerInnen als sprechende, denkende und debattierende Erwachsene, im Guten wie im Schlechten ebenso fähig wie jedeR andere.

Die FIFA hat die Verwaltung dieses globalen Karnevals, der die Fussballweltmeisterschaft ist, an sich gerissen, und beutet ihn mit unglaublicher Rücksichtslosigkeit aus. Aber es bleibt die Tatsache, dass es ein globaler Karneval ist, gemacht von einfachen Leuten. So wie der Reichtum der Züricher Banken vergesellschaftet werden muss, so muss die FIFA demokratisiert und die Weltmeisterschaft entkommerzialisiert werden. Es muss eine nicht profitorientierte Körperschaft geschaffen werden, die an der Herstellung von völliger Gleichheit zwischen den Sportsystemen der Welt arbeitet, zwischen Männer- und Frauenfussball, und an Meisterschaften, die auf entwickelnde und demokratische, anstatt auf räuberische und exklusive Weise verläuft.

Scheiß auf die FIFA. Es lebe der Fussball.

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