Die südafrikanische Polizei und der Krieg um die öffentliche Ordnung

Zur Quelle, Christopher McMichael, 3.9.2012

Die südafrikanische Polizei und der Krieg um die Öffentliche Ordnung

Hat die Remilitarisierung der Polizei dazu geführt, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung als eine Art von Krieg betrachtet wird?

Grahamstown, Südafrika:

Anfang 2010 setzte in der südafrikanischen Polizei (SAPS) ein formaler Prozess der Remilitarisierung ein. Zu dieser Zeit wurde er als ein notwendiges Projekt dargestellt, um ‚das Kommando und die Kontrolle‘ sowie die ‚Disziplin‘ innerhalb des Polizeidienstes wieder herzustellen, damit die Polizei gewalttätige Kriminelle besser bekämpfen kann.

Doch in den letzten beiden Jahren wurde der Eindruck erweckt, die SAPS führe einen Krieg um gegen die breite Öffentlichkeit. Das Unabhängige Direktorat zur Beobachtung der Polizei hat eine erhebliche Zunahme an Todesfällen während der Polizeihaft festgestellt und über Misshandlungen und Folter durch Beamte berichtet. Letztes Jahr lenkte die Ermordung des Demonstranten Andries Tatane die öffentliche Aufmerksamkeit auf die zunehmend tödlichen Taktiken der Polizei bei der Kontrolle von Massenansammlungen. In der Provinz KwaZulu-Natal gab es bereits ein Gerichtsverfahren gegen die Einheit zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Cato Manor wegen außergerichtlicher Tötungen und weil sie auf unbewaffnete DemonstrantInnen in Umlazi geschossen hatte.

Insgesamt wird der Eindruck erweckt, dass die SAPS in ihre Rolle während der Apartheid als brutale Durchsetzerin der Staatsmacht zurückfällt.

Letzter Ausweg oder Selbstverständlichkeit?

Das scheint mit der Ermordung von 34 Minenarbeitern bei der Lonmin-Mine in Marikana am 16. August einen neuen Tiefpunkt zu erreichen. Als diese Schießerei stattfand, hatte der Streik bereits zum Tod von 10 Menschen geführt, darunter zwei Polizisten, die bei Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der mit der Regierung verbandelten Gewerkschaft NUM und der von dieser abgespaltenen AMCU starben.

Die SAPS behauptet, dass es nur deshalb zur Schießerei kam, weil die Streikenden sich weigerten, sich friedlich zu zerstreuen und dass die tödliche Gewalt als letzter Ausweg genehmigt worden sei, als bewaffnete Streikende versuchten, die Polizeilinien anzugreifen. So ist es auch von Präsident Zuma und von vielen südafrikanische Medien wiedergekäut worden, die die Morde als unvermeidbare Tragödie darstellen, bei der die Staatsmacht gezwungen war, beklagenswerte Mittel einzusetzen. Trotzdem, und trotz der Tatsache, dass das nationale Polizeikommando zugibt, dass seine Beamten die Streikenden umgebracht haben, hat die nationale Staatsanwaltschaft ursprünglich die verhafteten Minenarbeiter des Mordes an ihren Kollegen angeklagt, inzwischen hat sie diese Anklagen fallengelassen und heute die Arbeiter freigelassen.

Gegen die Darstellung, dass die Polizei die Gewalt nur als letztes Mittel eingesetzt hat, spricht eine zunehmende Anzahl von Hinweisen dagegen, dass die Morde ein Akt der Selbstverteidigung waren, sondern vielmehr Teil eines bereits im Vorhinein erstellten Plans, den Streik zu beenden, In Interviews haben Minenarbeiter darauf hingewiesen, dass die Polizei NATO-Draht verwendet hat, um die Streikenden ‚einzukesseln‘, die dann anschließend zur Strecke gebracht und niedergeschossen wurden, als sie versuchten, den Schüssen und dem Tränengas der Polizei zu entkommen, während verletzte Überlebende von gepanzerten Fahrzeugen überrollt wurden. Weiters sind Vorwürfe laut geworden, die Autopsien der Toten hätten gezeigt, dass die meisten von ihnen auf der Flucht erschossen worden sind. Der Daily Maverick hat auch Hinweise darauf gefunden, dass 14 der Minenarbeiter 300 Meter von der Stelle, an der die Auseinandersetzungen stattfanden, von Polizisten aus nächster Nähe und ohne Anzeichen für einen Kampf umgebracht worden sind. Hinweise auf systematische Folter der verhafteten Streikenden durch die Polizei in der letzten Woche passen ebenfalls schwerlich zu dem Bild, dass die SAPS eine Institution ist, die Gewalt nur als letztes Mittel anwendet.

Die Gewerkschaft der ArbeiterInnen im Bildungs- und Gesundheitswesen sagt in einem offiziell Statement: „Unsere Polizei hat die Apartheid-Taktiken und die Militarisierung der Polizei übernommen und perfektioniert, und sie fördert den Einsatz von Gewalt bei der Schlichtung von Streits und Konflikten … alle Polizeibeamten, die mit Protesten zu tun haben, müssen in disziplinierten Methoden der Kontrolle über die DemonstrantInnen geschult werden, denn wir können uns eine Polizei, die DemonstrantInnen neuerdings abschlachtet, nicht leisten.“

Diese Stimmung fand Widerhall bei Sicherheitsanalysten, die die Schießerei als Produkt mangelnden Trainings beschrieben, bei dem die Kompetenz für öffentliche Ordnung ersetzt wurde durch den Trainingsschwerpunkt auf ein Maximum an Gewalt und Kriminalitätsbekämpfung. Anstatt fachkundige Formen der Eindämmung und Verhandlungsführung einzusetzen, nimmt die Polizei den kampflustigen Standpunkt des aggressiven Aufmischens von Versammlungen und Demonstrationen ein. Eine besonders bizarre Intervention lieferte der frühere Kommandant einer Aufstandsbekämpfungseinheit während der Apartheid, er behauptete, die Polizei hätte die „weniger“ konfrontative Taktik, einzelne Minenarbeiter durch Heckenschützen „abknallen“ zu lassen, einsetzen sollen.

Freunde und Feinde

Aber indem sich viele KommentatorInnen ausschließlich auf die Fragen der Taktik und des Trainings beschränken, zeichnen sie ein Bild der Polizei, in der diese als unpolitische Organisation, deren Rolle einfach darin besteht, in sozialen Disputen zu entscheiden, und das könne weniger gewalttätig erledigt werden, indem die entsprechenden technokratischen Verbesserungen durchgeführt werden. Sie ignorieren, so argumentiert Jane Duncan, die Rolle der SAPS als einer echten politischen Institution, deren Geschäft die „Unterdrückung abweichender Meinungen und Stimmen, vor allem (aber nicht nur) derjenigen außerhalb der (herrschenden) ANC-SACP-COSATU-Allianz. Das Problem zieht die Remilitarisierung der Polizei nach sich, obwohl die Remilitarisierung zweifellos das Problem wiederum verschärft hat.“

Diese Taktiken reichen von ‚unsichtbaren‘ Formen der Unterdrückung, wie das Schlechtmachen des Rechtssystems, um Demonstrationen verbieten bzw. noch stärker überwachen zu können, bis hin zum Einsatz scharfer Munition und Folter. Das steht in krassem Gegensatz dazu, wie die Polizei mit Protesten umgeht, die von innerhalb der Dreiparteienallianz organisiert werden. Öffentlicher Aufruhr und Gewalt bei Streiks und Märschen von COSATU und ANC werden meist mit Glacehandschuhen angefasst. Einem unlängst durchgeführten Streik der Metro Police in Durban beispielsweise, bei dem Beamte Straßen blockierten, Motorisierte angriffen und angeblich damit drohten, das Rathaus „abzufackeln“, wurde lediglich mit Warnungen, dass Disziplinarmaßnahmen erfolgen könnten, begegnet.

Die autoritäre Antwort auf politische Bewegungen, die versuchen, sich außerhalb des Staates zu organisieren, ist aber keine Exklusivität des ANC. Die Demokratische Allianz-Partei (DA) hat vergleichbare Taktiken während ihrer Regierungszeit in West-Kap gezeigt, die von der Gewalt, die beim Versuch der Räumung von BewohnerInnen von Hangberg 1 ausgeübt wurde, bis zu dem fast schon lächerlichen, drakonisch harten Durchgreifen der kleinen „Take back the commons“-Aktionen in Kapstadt reichen.

Ein Krieg gegen die Armen?

Diese Gewalt gegen politischen Dissens kann als eine Front betrachtet werden in etwas, das viele unabhängige soziale Bewegungen den „Krieg gegen die Armen“ bezeichnen, in dem die Polizei, oft unterstützt vom blühenden südafrikanischen privaten Sicherheitssektor, „dazu da ist, die Armen aus den Städten zu vertreiben, uns auf menschlichen Müllhalden einzudämmen und unsere Kämpfe zu unterdrücken.“

In vielerlei Hinsicht scheint die Repression die Arbeit der kolonialen und der Apartheid-Behörden in neuer Gestalt zu wiederholen. Beispielsweise reiht sich das Lonmin-Massaker in andere historische Vorfälle ein, bei denen der Staat Gewalt einsetzt, um das Eigentum und die Macht des südafrikanischen Minensektors zu schützen. Aber wenn auch der steile Anstieg staatlicher Gewalt in letzter Zeit mittels dieser historischen Kontinuitäten interpretiert werden kann, unvermeidbar angesichts der Horrorszenarien in der nahen Vergangenheit Südafrikas, so findet die Remilitarisierung der Polizeikräfte in einem völlig anderen Kontext statt, als der Polizeistaat der Apartheid-Ära.

Südafrika ist nun formal eine konstitutionelle Demokratie, obwohl – wie der „Krieg gegen die Armen“ zeigt – der Genuss dieser Rechte immer noch von Klassen- und Rassenzugehörigkeit begrenzt wird. Und war die aggressive Massenkontrolle in den Apartheid-Jahren die Antwort eines weißen, suprematistischen Staates, der versuchte, den Aufstand zu zerbrechen, kommt die staatliche Gewalt heute von einer demokratisch gewählten Regierung, die versucht, lokale Proteste und Aufstände von communities einzudämmen. Aber wie ihre Apartheid-Vorgänger verlassen sich die Behörden allzu oft lieber auf paranoide Beschwörungen mysteriöser „Kräfte“, die Gewalt provozieren, als dass sie zur Kenntnis nehmen würden, dass es sich um das Ergebnis von Frustration wegen Südafrikas obszön starker Ungleichheit, das Versagen der Regierung bei der Versorgung der Armen und der schwarzen Mehrheit des Landes mit sinnvoller sozio-ökonomischer Emanzipation, und die Arroganz und Grausamkeit des Staates und des big business handelt.

Der innere Feind

Die Militarisierung der Polizei dient daher nicht dazu, einen langanhaltenden Krieg gegen einen bestimmten Feind zu gewinnen, sondern sie spiegelt über die Staaten hinweg rotierende Konzepte von „asymmetrischem Krieg“, in dem staatliche Kräfte in „niedrigschwellige“ (aber immer noch sehr gewalttätige) Konflikte mit einer Reihe nicht-staatlicher AkteurInnen, von „TerroristInnen“ und bewaffneten Banden bis zu einer „aufständischen“ Öffentlichkeit eingreifen.

Das wird untermauert durch den Glauben an die taktische Austauschbarkeit von Kriegsführung und heimischer Politik. In den letzten paar Jahren gab es eine zunehmende Einbindung zwischen der Polizei und der südafrikanischen Armee (SANDF), die gemeinsame ‚Sicherheitsoperationen‘ sowie den Austausch von Ausrüstungen mit einschloss. Innerhalb der SAPS selbst lag der Fokus auf dem Training paramilitärischer, SWAT-ähnlicher Einheiten, die eine Brücke zwischen polizeilichen und militärischen Funktionen darstellen. Zwei dieser Einheiten, die Special Task Force und das Tactical Response Team, waren in Lonmin vor Ort. Die Special Task Force treibt die Remilitarisierung der Polizei voran, und sie gilt als eine der elitärsten Spezialeinheiten weltweit, sie hat auch Trainingsmissionen gemeinsam mit dem Special Operation Command des US-Militärs absolviert. Jedenfalls sind sie für Szenarien wie Geiselnahmen und terroristische Angriffe ausgebildet, nicht für die Zerstreuung von Massenansammlungen oder Kontrolle. Bemerkenswert ist, dass die Minenarbeiter sie in ihren Uniformen als Soldaten (miss)verstanden haben.

Im Gegensatz dazu werden die Tactical Response Teams, die im ganzen Land eingesetzt werden dürfen und die an ihren Baretten zu erkennen sind, sowohl für städtische als auch ländliche Kampfeinsätze und ‚erweitertes Management von Massenansammlungen‘ ausgebildet. Diese Einheiten sollten ein Flaggschiff für die Remilitarisierung der SAPS bilden, und gleichzeitig „Kriminelle jagen“ und die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten. Doch die verschiedenen Teams haben sich den Ruf Kräften zur Misshandlung erworben. Videobeweise, auf denen das Tactical Response Team Gauteng im Einsatz bei einer quasi-militärischen Kampagne nach zivilem Aufruhr in einer township nahe Johannesburg zu sehen ist, zeigen Folterszenen und Razzien in Häusern, und die Medien werteten Filmmaterial von Überwachungskameras aus, auf denen Team-Mitglieder Barbesitzer in der Innenstadt angreifen. Gegen die Mpumalanga-Division lief auch ein Prozess wegen angeblicher extremer Brutalität.

Während die Militarisierung der Polizei durch die Regierung als eine Antwort auf die Gefahren, die von bewaffneten Kriminellen und Terroristinnen ausgehen, präsentiert wurde, zeigt der Vorfall, dass solche Einheiten dazu ausgebildet werden, rasch gegen den „inneren Feind“ eingesetzt werden zu können.

Aufrechterhaltung der Ordnung

Polizeiminister Mthethwa hat unterstellt, dass die südafrikanische Bevölkerung wegen in der Vergangenheit begründeter „Empfindlichkeiten“ zu skeptisch gegenüber den Fähigkeiten der Polizei zur Kontrolle der Massen mittels „menschlicher Note“ ist. Er sagt: „Die Leute kritisieren uns, weil wir Wasserwerfer einsetzen. Wir haben diese neuen Techniken deshalb eingeführt, weil sie keine maximale Gewalt darstellen. Aber die Leute kritisieren das, sagen, dass diese Dinger schon unter der Apartheid benutzt wurden.“

Der Staat, der sich des Niederschlags von Marikana in der Öffentlichkeit bewusst ist, überschlägt sich in Public Relations und hat versucht, eine Geschichte zu erschaffen, die polizeilichen Aktionen entlastet und legitimiert, teilweise indem die Minenarbeiter als geistesgestörter Mob dargestellt wurden. Aber es deutet wenig darauf hin, dass das Massaker ein Umdenken bezüglich des Projekts, die „öffentliche Ordnung“ als eine neue Form von Kriegsführung zu begreifen, bringen wird.

Anmerkungen

1Informelle Siedlung, in der vor einigen Monaten mehrere Häuser geräumt werden sollten. Eine Filmdokumentation zeigt, dass die BewohnerInnen auf die anrückenden Polizisten zugehen, um mit ihnen zu verhandeln. Die Antwort sind Gummigeschosse, bei diesem Einsatz verloren mindestens vier BewohnerInnen von Hangberg ein Auge.

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